Depressiv Taxifahren in Hamburg - der Roman Taxi von Karen Duve
Depressiv Taxifahren in Hamburg - der Roman Taxi von Karen Duve
Bevor sich ihre Eltern „wieder irgendeinen langsamen Tod in einem Büro“ für sie ausdenken können, bewirbt sich die Titelheldin Alex Herwig 1984 auf ein Inserat als Taxifahrerin.
Was Mitte der 1980er Jahre als ungeliebter aber spannender Job beginnt, endet sechs Jahre später mehr oder weniger unfreiwillig mit einem zu Schrott gefahrenen Wagen und dem Entzug der Fahrerlizenz; so wie jede Veränderung in Alex’ Leben scheinbar nur durch äußere Umstände zustande kommt.

Alex manövriert sich zunehmend orientierungs- und lustlos im Mercedes „zweihundertvierundvierzig“ durch die Hamburger Nächte und ihr Leben. Im Zuge brillant formulierter 300 Seiten gewinnen durch bleierne Müdigkeit verdeckte Aggressionen und das damit einhergehende Unvermögen, das eigene Leben aktiv zu gestalten, die Oberhand. Wenn, selten genug, ein eigener Wille durch diese Lethargie blinzelt und die Akteurin wild um sich zu schlagen beginnt, atmet man als LeserIn auf: „endlich…“. Doch dann verpufft alles in der umfassenden Leere, die Alex’ Seelenleben dominiert. Was nach reiner „Depro“-Lektüre klingen mag, ist jedoch mit tragikomischem Humor gewürzt. Darüber hinaus weiß Karin Duve, wovon sie auf ihre ernste, komische und stets lakonische Art berichtet, ist sie doch jahrelang selbst Taxi gefahren. Ihr Alter Ego, Alex, entwickelt sich zum willen- und machtlosen Spielball pathologisch agierender Fahrgäste und sexistischer Kollegen. Die in der Taxi-Branche unentbehrliche Kenntnis des Stadtplanes geht Alex zunehmend verloren. Ebenso wie der Lohn, den sie verdient, einfach zu entschwinden scheint. Eine Beziehung verläuft in denselben Bahnen: „Im Grunde war mit jemandem zusammen zu sein nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Wenn ich nicht schlief, arbeitete ich ja ständig.“

Selbstkonstruierte Opferrolle

Alex lebt von der Hand in den Mund – als taxifahrende Tagelöhnerin. Ihre ausschließlich männlichen Kollegen orientieren sich auch 1990 noch an Nietzsches und Weiningers Frauen-Bild und missbrauchen dieses zum Entwurf ihres eigenen verachtenden Umganges mit der Akteurin. Doch Alex’ Opferrolle stellt sich als Eigenkonstruktion heraus. Es bedarf nämlich eines ungeheuren Energieaufwandes, um sich selbst derartig zu erniedrigen. Nach dem Motto ‚niemand liebt mich, und ich setze auch alles daran’, verhält Alex sich so gleichgültig, kalt und destruktiv, wie sich fühlt – vor allem, wenn ihr jemand tatsächlich etwas bedeuten könnte.
Alex’ „wirkliches“ Leben spielt sich einzig und alleine in Form der Lektüre über Menschenaffen ab. Zur Erkenntnis, dass dieses Interesse nicht das Leben selbst ist, könnte die Akteurin am Ende durch zwei ungewöhnliche Fahrgäste geführt werden: Schimpanse und Schausteller.
All jenen, die mit innerer Leere und Depression nichts anfangen können, sei diese Lektüre nicht ans Herz gelegt (vgl. diverse Rezensionen auf Amazon). Allen anderen sei das spannende, düstere, komische und psychologisch ausgefeilte Portrait einer verzweifelten Taxilenkerin im Hamburg der 1980er Jahre wärmstens empfohlen.

Autorin: Mag.a Eva Tinsobin
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